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Alle Güter sind Dienstleistungen.
Gedanken zur zweiten Phase der Käufermärkte

Mit dem Auslaufen der 70er Jahre wird sich ein unternehmenspolitisches Problem zuspitzen, das besonders im Bereich der Massenkonsumgüter immer häufiger diagnostiziert wird.

In vielen weitgehend gesättigten Märkten vor allem der alltäglichen Verbrauchs- und Gebrauchsgüter wird es immer schwieriger, Verbraucherpräferenzen aufzubauen. Markenartikelhersteller haben wachsende Mühe, in gesättigten Märkten Innovationen zu entwickeln und durchzusetzen. Ob es sich um Tierfutter oder um Getränke, um Rasierapparate oder um Radios, um Waschmittel oder um Süßwaren, um Kosmetik- oder um Zahnpflegeartikel handelt, ein Leistungsvorsprung hängt zunehmend davon ab, wie gut die Unternehmen den Mangel an bedeutsamen technischen Produktunterschieden durch zusätzliche psychologische und soziale Produktnutzen kompensieren können.

Verbraucher wollen als erfahrene Wohlstandsbürger’ mehr als nur den Grundnutzen, den ursprünglichen Gebrauchswert der Produkte kaufen. Sie wollen Produkte auch danach auswählen, wie sehr diese jeweils ihrem Typ, ihrem Lebensstil, ihrem Geschmack, ihrer sozialen Rolle, ihrer Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Gruppen usw. entsprechen.

Unternehmer müssen berücksichtigen, dass die Verbraucher ihre Konsumwahl – nicht zuletzt auf Grund der Fülle des Güterangebots – immer kritischer und differenzierter beurteilen und dementsprechend hohe Ansprüche stellen an ein unverwechselbares Produktprofil aus einem Guss. Austauschbare Produkte unterliegen im Übrigen auch dem gewaltigen Preisdruck des Handels und sind schon deshalb nicht vertretbar.


Neuer Engpass für erfolgreiche Unternehmenspolitik.

Für die Unternehmenspolitik hat diese Entwicklung risikoreiche Konsequenzen. Für viele Unternehmen bedeutet sie eine grundlegend neue Entwicklungsstufe der verbrauchsorientierten Güterproduktion, nämlich die zweite Phase der ‚Käufermärkte’.

In der ersten Phase der Käufermärkte ging es generell um die Umstellung der Unternehmensführung vom Engpassfaktor ‚Produktion’ auf den Engpassfaktor  ,Markt’. In der zweiten Phase der Käufermärkte geht es speziell um die Motivation von Verbrauchern, die inzwischen immer kritischer, erfahrener und routinierter geworden sind und die zunehmend eine psychologische Differenzierung des Güterangebots erwarten – z.B. in Form von Design und emotionalen Mehrwert.

Das Kernproblem liegt darin, das Verbraucherforschung, Markt- und Motivforschung nur sehr begrenzt aussagefähig sind. Sie enthalten eine Fülle von Prämissen, die eine verlässliche Simulation der realen Bedingungen von Verbraucherentscheidungen einschränken. All die vielen misslungenen Markteinführungen, die zuvor gründlich und mit sehr hohem Aufwand getestet wurden, beweisen, mit welchen Fallstricken eine Simulation von Verbraucher-Reaktionen in einer Testsituation behaftet ist.


Risikofaktor „Verbrauchermotivation“.

In der zweiten Phase der Käufermärkte wachsen die unternehmerischen Risiken, weil die Erkenntnisse der Kommunikationsforschung, der Verbraucher- und Werbepsychologie, der Sozialpsychologie, der Soziologie hochgradig spekulativ sind. Ausgangspunkt ist z. B. die Erkenntnis, dass die Menschen im Grunde keine spezifisch ökonomischen Bedürfnisse haben. Alle Bedürfnisse der Verbraucher sind letztlich sozial geformt und geregelt. Verbrauchen ist nur ein Teilaspekt menschlichen Gesamtverhaltens. Wie erfolgreich in überbesetzten Konsumgütermärkten Angebote differenziert und profiliert werden können, hängt also mehr denn je davon ab, wie genau die Unternehmer allgemeine Verhaltensweisen und Einstellungen der Menschen begreifen können, wie gut sie in den Kategorien von Motivation und Erwartungen denken können und vor allem wie sehr es ihnen gelingt, vielschichtige Motivbündel der Verbraucher im Sinne eines Güterangebotes aufzuschlüsseln.

Beim Gros der Konsumgüterunternehmen mag die Stunde dieser Wahrheit noch nicht geschlagen haben. Der Unternehmenserfolg beruht  vorläufig noch

  • auf dem Vertrauensvorsprung, den alt eingeführte Marken nutzen können – z.B. durch Sortimentsausweitung, Relaunch, line-extension  usw.
  • auf einem Marketing ,Power-Play’, d.h. Ausnutzung überlegener Vertriebssysteme und massiver finanzieller Überlegenheit,
  • durch Rationalisierungseffekte,
  • durch sich selbst erklärende technologische Überlegenheit,

um nur einige Beispiele zu nennen, die davon ablenken, worum es in der zweiten  Phase der Käufermärkte in aller erster Linie geht.


Dieser Aufsatz wurde im Markenartikel Heft 8/1977 veröffentlicht.

Marketing- und Werbe-Berater Franz Brück meint: „Je schwieriger es in einer Überflussgesellschaft wird, sich nachhaltig (!) mit einzigartigen, faktischen Produktnutzen im Wettbewerb zu positionieren, desto größere Bedeutung gewinnen psychologische Zusatznutzen. Je weniger plausibel sich diese psychologischen Zusatznutzen vom faktischen Produktnutzen ableiten lassen, umso größer ist die Gefahr des Misserfolgs. Die Beherrschung der Gesetzmäßigkeiten psychologischer Produkt- bzw. Marken-Positionierung ist deshalb unverzichtbar.“

Anders als hier gefordert, hat sich das Verhalten der Marketing-Manager in den letzten 30 Jahren immer mehr vom Verhalten der Verbraucher entfernt. Statt der verbraucher-nahen Begriffe "Positionierung, Alleinstellung, Konkurrenz-Distanz, USP" dominieren volkswirtschaftliche Begriffe wie "gut aufgestellt sein" und "Innovationen". Erfolgreiche Newcomer waren zunächst immer ex definitione schlecht aufgestellt. Sie haben sich in der Regel gegen die Innovationen des Establishments durchgesetzt.