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Irrwege im Zigaretten-Marketing

1929 schrieb Hans Domizlaff in dem Buch »Typische Denkfehler der Reklamekritik« für seinen Freund Philipp Reemtsma: »Es wird heute zu viel Reklame für fehlerhafte Waren gemacht. Ein erheblicher Prozentsatz ist einfach unnütz vergeudetes Geld. Es liegt wie eine Psychose über Deutschland, daß jeder Geschäftsmann glaubt, nur in Reklame die Rettung für mangelhafte Umsätze zu sehen und dabei vergißt, an das Wesentliche zu denken: An die materielle und psychologische Qualität einer Markenware.«

In der Tat scheinen die Zigarettenunternehmen diese Grundregel erfolgreichen Marketings vergessen zu haben. Statt diese Einsicht des Altmeisters des Zigarettenmarketings nachzuvollziehen und die Verbraucher durch neue, attraktive Produktalternativen zu locken, versucht es die Zigarettenindustrie in letzter

Zeit ausschließlich mit austauschbaren »Me-too-Produkten« im wachstums-starken Full-Flavor-Segment von Marlboro und Camel: unter anderem mit Liberty, Winston, Morgan und West. Selbst das emotionale Vorstellungsbild, das Image dieser Marken, ist nicht viel mehr als ein Abklatsch von Marlboro und Camel.

Im Gegensatz zu diesen Produktimitationen waren alle heute führenden Zigarettenmarken zum erfolgsentscheidenden  Zeitpunkt der Markteinführung echte Produktnovitäten:

1953
wurden Reval und Roth-Händle eingeführt, als erste naturreine blonde bzw. schwarze Zigaretten ohne Filter.

1955
gelang BAT mit der HB die große Sensation, die erste Filterzigarette durchzusetzen.

1956
folgte Ernte 23 als erste naturreine Filterzigarette. Im selben Jahr führte Lux-Filter die »aromaversiegelte« erste Hartbox in der Konsumpreisklasse ein. Der fantastische Erfolg von Peter Stuyvesant1956 hing nicht zuletzt davon ab, daß die PST den Deutschen endlich wieder Weltformat vermittelte, mit der ersten 85-mm-King-Size-Zigarette, einem Format, dem sich bald alle anderen Filterzigaretten anpaßten.

1960
war die Zeit reif für die erste echte US-Zigarette, die man zum normalen »deutschen« Preis kaufen konnte: Marlboro schaffte den Take-off und etablierte sich besonders in den südlichen »US-Gebieten« unter den Spitzenreitern des Marktes.

1961
wurde versucht, in Deutschland auch die in Amerika so belieb
ten Menthol-Zigaretten durchzusetzen. Trotz einer gigantischen Werbeschlacht konnte Reynolds mit Reyno zwar nur einen kleinen Liebhaberkreis erobern. Immerhin, mit konstanten 50 Millionen Stück pro Monat war der Durchbruch geschafft. Die vielen späteren Mentholnachläufer dagegen blieben alle auf der Strecke.

1962
wurde dann die Gesundheitswelle im Zigarettenmarkt eingeläutet. Lange vor der Zeit also, da es in Marktforscherkreisen Mode wurde, auf den starken Hang der Deutschen zur leichten Zigarette aufmerksam zu machen, eröffnete Lord Extra mit einer damals geradezu provokant frechen Kampagne das Segment der nikotinarmen Zigaretten. Optik und Schlagzeile (Genuß im Stil der neuen Zeit) haben sich bis heute über fast 20 Jahre lang unverändert, aber bis zum Klischee degeneriert erhalten. Im folgenden Jahr konnte sich eine Zigarette mit dem signalstarken Namen Milde Sorte und mit dem Hinweis auf einen Spezialfilter (»mit Klimazone«) als die Leichteste der Leichten profilieren.

1968
als schließlich alle Filterzigaretten ausnahmslos mittlerweile ihre Leichtigkeit in den Mittelpunkt stellten, bot Camel-Filters die einzige Full-Flavor-Alternative. Peer kam im selben Jahr mit der ersten 100-mm-Zigarette.

1970
war es Kim, die mit einem neuen Format, lang und dünn, als erste Frauenzigarette Furore machte.


Dieser Aufsatz wurde in absatzwirtschaft Heft 5/1981 veröffentlicht.
Wie ist es möglich, daß die drei etablierten Unternehmen der Zigarettenindustrie  - Reemtsma, BAT, Brinkmann - die noch Anfang der siebziger Jahre souverän den Markt unter sich aufteilten, in den letzten Jahren ihre Marktposition nicht verteidigen oder ausbauen konnten? Auf Bilanzkonferenzen der Zigarettenhersteller wird gern die Erklärung herumgereicht: Weil die Zigarettenindustrie den Gesundsheitstrend, den Trend zur leichten Zigarette, überschätzt hat und zu spät gegensteuerte. Der Düsseldorfer Marketing- und Werbeberater Dr. Franz Brück kommentiert: »Diese Erklärung geht an den wahren Ursachen der Misere vorbei. Die Zigarettenleute ignorieren Grundsätze erfolgreichen Marketings.« Dr. Brück zeichnet erfolgreiche und verhängnisvolle Entwicklungslinien im deutschen Zigaretten-Markt auf.