Alle 15 führenden Zigarettenmarken mit über 0,5 Prozent Marktanteil konnten in ihrer Startphase einen ganz faktischen, konkreten Produktvorteil anbieten. Es gab lediglich eine einzige Ausnahme: die nikotinarme Krone-Filter. Sie konnte sich als die eher »männliche« Geschmacksalternative zu den eher feminin eingestuften superleichten Filterzigaretten profilieren. Entsprechend der schwachen Produktalternative stand auch die Einführung der Krone über Jahre hinweg auf sehr schwachen Füßen.

Heute wäre selbst ein Spätzündererfolg á la Krone kaum mehr möglich. Zu groß sind inzwischen die zusätzlichen Hindernisse, die den Start einer neuen Zigarettenmarke erschweren, vor allem

1. weitgehend gesättigte Märkte, größere Angebotsvielfalt, stärkere Abhängigkeit vom Automaten- und Lebensmittelgeschäft, härterer Verdrängungswettbewerb;

2. reglementierte Kommunikation, insbesondere der Verzicht auf die elektronischen Medien, die früher bei Neueinführungen vor allem wegen schnellerer Aktualisierbarkeit und stärkerer Emotionalisierbarkeit des Werbeversprechens einen ganzentscheidenden Einfluß hatten.




Erstaunlich genug, daß die Zigarettenindustrie trotz dieser gravierenden, zusätzlichen Handikaps weiter auf Me-too-Konzepte vertraut. Hans Domizlaff und Philipp Reemtsma würden darauf hinweisen, wie wichtig es ist, daß eine neue Zigarette, wie jedes andere neue Produkt auch, den Eindruck vermitteln kann, eine wirklich wichtige Alternative zum Bestehenden zu bieten. Sie würden die Frage stellen, ob im Zigarettenmarkt eine wesentliche Rauchalternative fehlen würde, wenn es die neue Marke X nicht geben würde.

Im Gegensatz zu den Zigarettenpionieren Domizlaff und Reemtsma setzt sich die Zigarettenindustrie von heute viel zu niedrige Maßstäbe. Sie vertraut offensichtlich darauf, daß die Wahl einer neuen Zigarettenmarke ausschließlich von emotionalen Motivationen bestimmt wird, die allein über die Werbung befriedigt werden können. Sie scheint zu übersehen, daß der emotionale Zusatznutzen als Lug und Trug in sich zusammenfällt, wenn er sich nicht schlüssig von einem faktischen Vorteil, von der Marke selbst, ableiten läßt.



Auch hier ist ein Vergleich mit den erfolgreichen etablierten Marken zum Zeitpunkt ihrer Markteinführung sinnvoll. Sie alle haben eine doppelsinnige Botschaft gehabt. Einerseits vordergründig im Sinne einer rationalen Produkterklärung und andererseits hintergründig im Sinne einer irrationalen Markenidee.

Die naturreine Ernte 23 warb beispielsweise mit dem Slogan »von höchster Reinheit«. Die hintergründige emotionale Überredungsabsicht in Richtung »Reinheit« wird durch das vordergründige Produktargument »naturrein« verdeckt und kann so überhaupt erst wirksam werden. Ohne schlüssigen, zwingenden Produktbezug wirkt eine emotionale Werbebotschaft unglaubwürdig. Domizlaff schrieb: »Die Schaffung der Marke durch die Ware übertrifft an Wichtigkeit alles . . . Selbst mit der stärksten, größten und umfangreichsten Reklame ist für eine (markentechnisch) schlechte Marke in einem strittigen Absatzgebiet nichts zu erreichen.«

Die Illusionen über die Illusionen der Verbraucher müssen bei den Zigarettenleuten   besonders tief verwurzelt sein. Wie sonst ließe sich erklären, daß immer wieder Millionen in die Hoffnung investiert werden, mit neuen Zigaretten zu reüssieren, die letztlich gar keine neuen Zigaretten sind, sondern nur Variationen eines von anderen Marken längst befriedigten Rauchvergnügens. Domizlaff und Reemtsma würden die Zigarettenmanager von heute wahrscheinlich mit drei wesentlichen Forderungen konfrontieren: